Es kommt der Augenblick, an dem die Einfälle ausgegangen sind und sich an ihrer Statt die Angst so langsam in den Körper flüchtet; vor der Leere, die sich ausbreitet wie Hefeteig. Sehnsucht hat man, bis der Nacken krampft: nach dem Unerwarteten, nach dem Fremden und dem Schönen; danach, begehrt zu werden und interessant zu sein und voller Hoffnung.
Wenn sich David Lindert in solchen Situationen wiederfindet, hat er vorausschauend die Kamera zur Hand. Damit macht er Bilder von Freunden und seinen Lebensmenschen, seinem Partner, seiner Großmutter. Oft findet er sich in einem fremden Zuhause, wo nach und nach noch Unbekannte kommen. Mit ihnen schwindet manchmal das Gefühl der Leere, meistens aber nicht. Die Stunden fahren Karussell, Leute lachen, zittern, beben und die Vorhänge schützen dabei nicht vor der Einsamkeit. David sieht dann genauer hin, in Ecken oder Körperfalten, in die Spüle, die von zu vielen wachen Tagen zeugt.
Gesammelte Eindrücke und kleinste Gedanken wollen sich auch nicht verabschieden und er sammelt sie in seinem Telefon, eine Zeile nach der anderen. Solange wird sein Gesicht von dem Bildschirm fahl beleuchtet, bis Gedichte herauskommen, die ehrlich zu ihrem Schöpfer sind und ihn ernst nehmen, und David kann die Wahrheit ertragen.
Die Wahrheit ist doch; dass man sich ungenügend fühlt, wie ein Scheitern auf Beinen; dass man nicht weiß, wohin mit sich, dass man sich schadet und nicht aufhören kann damit; dass etwas zu Bruch gegangen ist und man aus Ohnmacht nichts zu tun vermag, als sich selbst dabei zuzuschauen. Die Wahrheit ist aber auch, dass Du auch ab und an so fühlst – oder Du, oder Du, oder Du.
David macht wahrhaftige Bilder: unerwartet, fremd und schön. Sollten wir hungern vor Ereignisarmut, finden wir der Sehnsucht beste Nahrung: Nähe.
David Lindert (*1992) versteht seine Arbeit als visuelle Poesie. Dafür verwendet er unterschiedliche Ausdrucksformen, vor allem Fotografie, Text und Installation. Einen Schwerpunkt bilden dabei Fotobücher und Gedichtsammlungen. Seine Publikation Loads Less Traveled wurde 2019 im Rahmen der Ausstellung It’s a Lot Like Life an der Royal College of Art in London gezeigt. 2020 waren seine Werke in Los Angeles, Wien, London, Porto und Lissabon gezeigt. Seine Fotografie ähnelt Wachträumen, in denen Details besondere Aufmerksamkeit zukommt, während der Kontext undeutlich im Hintergrund bleibt. Oft sind Gedichte nebengestellt, die prosaisch die Unzulänglichkeiten wie Schönheiten des eigenen Lebens zusammenfassen. Die Kombination der beiden Medien ist charakteristisch in Davids Werk.
Geschrieben anlässlich der gleichnamigen Ausstellung Jan–Mär ’21 im Buchladen eisenherz, Berlin