Der Künstliche Schriftsteller

Wie setzt man zu schreiben an, wo die sogenannte künstliche Intelligenz unfrei durch das Leben schwebt? Sie kommt mir vor wie ein raffinierter Automat, der eine phänomenale Menge an Daten verspeist hat und nun auf den Befehl wartet, das Aufgenomme eindrucksvoll wiederzukäuen. Das Programm schreibt auf Befehl allerhand ohne ersichtliche Mühe und das macht die Leute schrecklich unsicher. Die Erinnerung an die Entbehrlichkeit, Schwester der Sinnlosigkeit, schmerzt und macht Angst. Woran heute, in der vermutlich wohlhabendsten und technisch fortschrittlichsten Welt – obwohl sich doch mittlerweile herausgestellt haben sollte, dass dieser Fortschritt mit nichts und niemandem Händchen hält als mit sich selbst –, nicht gedacht wird wegen eines Denkhindernisses, ist ein Leben, dass sich sich nicht um Arbeit im Kreise dreht, eine Kultur, die Arbeit nicht glorifiziert als Akt aller Rechtfertigung, sondern stattdessen die Maschinen wirken lässt. Was leben wir in einer Zeit, wo unser Untergang stets am Horizont zu stehen scheint!

Doch mit dem Schreiben – Bleier mit Ratzefummel in der Hand, Heft liniert, niedlich! – zurück zum Schreiben: Dass der Automat es kann, es aber als Kunstform so nicht meint. Nach einem gemeinsam besuchten Vortrag über die sogenannte Künstliche Intelligenz (in der Großschreibung wird deutlich: es ist der Große Andere) im Kontext von Arbeit, klar, erzählte ich einem Freund von meinem Schreiben; dass das freie Schreiben mir die Freude bereitet – z.B. das Tagebuch, die Briefe –, weil ich nicht zurückblicken muss; es ist die Fingerübung am Morgen, wo der Geist erwacht, näher komme ich den Worten und Gedanken nicht. Wie auch das sich schon mit der ersten Maschine geändert hat, der Schreibmaschine! Was ich auch mag, ist den Rotstift zu zücken und Texte zurechtzustutzen. Der Mittelteil, das Komponieren, ist meist mühsamer, vielleicht auch, weil ich mir absichtlich Mühe gebe – würde ich es nicht tun, käme ein Schreiben von allen heraus, das dann als Vorlage dienen muss. Aber ich will mir die Mühe geben und das Beste aus mir, wie man so sagt, herausholen und auf dem Blatt fixieren. Jetzt kommt der Apparat, der den Anschein erweckt, Sinn zu vermitteln. Nimmt er mir das Schreiben ab? Keine Überraschung, dass die Betrachtungsweise eines sich selbst generierenden Textes technischer Natur, utilitaristisch ausfällt. Texte kommen ja erst durch Schreiben, Wortweben zustande und der Akt an sich hat auch eine Funktion, nämlich Sinn zu stiften, Kontemplation, Konzentration; Handgriffe, die Halt bieten, mit der Welt in Kontakt treten. Dann kann der Text Schönheit entbergen, aber auch Unsinn beschreiben zum Zwecke der Erheiterung, dass nicht jeder Einsatz von Energie – Mühe, würden Menschen sagen, Ressourcen der Zeitgeist – zielführend sein muss. Verschwende deine Energie, verausgabe dich! Kann der Automat diese Befehle beherzigen?

Der Automat muss keine Konkurrenz sein und kann die Hand für das Hirn ohnehin nicht ersetzen – wieder die Angst, unnütz zu sein, sinnlos – aber fein wäre es doch, die Hand schrübe Schönes und Sinnstiftendes zugleich und fügt bei eine Prise je ne sais quoi. Da gibt es doch etwas, dass des Menschen reizvollste Werke ausmacht, dieses unbeschreibliche Fragment Magie, der Zauber des Hebelns am eigenen archimedischen Punkt. Dass jemand Gedankensprünge hat, Zweifel, Neigungen, Eigenheiten, Unzulänglichkeiten Erfahrung und Begehren. Wenn ich derlei lese, wird mir warm ums Herz oder es kribbelt der Kopf. Das ist herrlich, da kehrt Ruhe ein, auch im Denken (nicht zwingend den Gedanken): Ich bin nicht allein. Ich bin verstanden worden, damals. Verbundenheit ist eine feine Sache, auch dafür bildet man sich einen Charakter, um den lieben Leuten was zu bieten, was sie wiedererkennen können, entdecken und sich daran reiben.

Vielleicht kann ich in einer kleinen raffinierten gedanklichen Operation, einem Sprung gleich, den Apparat zum Anlass nehmen, mich von dem zu befreien, was mich am Schreiben – oder genauer: am Veröffentlichen hindert. Angst als Perfektionismus umgeleitet oder gar als Rücksicht ausgelegt, sich und etwas nicht wiederholen zu wollen, was anderswo geschrieben steht. Angst, dass Meinungen und Überzeugungen auf Ablehnung stoßen, die sich heute durch Ekel ihren Ausdruck bahnt. Weg damit!, rufen die Leute, aus meinen Augen! Götter, erlöst uns von der Moral! Die letzte Frage ist auch so herrlich blockierend, weil sie keine Kriterien ihrer eigenen Ansprüche mit sich trägt: Ist das genug?